»Ich will mir ein Rennrad kaufen.«

2014-09-10.

»Kannst Du mir da irgendwelche Tipps geben?«

Ja, kann ich. Und das werde ich so oft gefragt, daß ich meine einmal sehr ausführlich gewordene Antwort aus einem Facebook-Chat herauskopiert und zu einer Pdf gemacht habe, statt jedesmal neu tippen zu müssen.
Diese Pdf kann man auch herunterladen [48KB; CC-BY-NC-ND].

Zuerst: Gehe nicht nach der Rahmenhöhe. Das hat sich leider so eingebürgert, ist aber genauso falsch, wie beim Schuhkauf nach der Länge des Fußes zu gehen. Hast Du breite Füße oder schmale? Hmm, stimmt, das ist ja bei der Länge nicht drin. Die einzig wichtige Höhe am Rad ist die des Sattels. Und das stellst Du mit der Stattelstütze ein, ohne daß sich damit irgendwie das Fahrverhalten ändert. Die Länge hingegen kann man nicht einfach mal einstellen, sondern nur, indem man den Vorbau austauscht: kurzer Vorbau oder langer Vorbau. Wenn aber Du unter 1,65m bist, ist ein 90er Vorbau meiner Meinung nach ziemlich nah an gut. So zwischen 1,65m und 1,75m solltest Du einen Vorbau der Länge 100mm nehmen. 1,75m – 1,95m: 110. Ab 1,95m: 120.

Mit zu kurzen Vorbauten kann man kaum geradeausfahren (schöngeredet nennt die Werbung das »wendiges Rad«), mit längeren kommt man um keine Kurve (Werbung redet das schön zu »spurtreu« oder »stabiler Geradeauslauf«). Laß Dir da nicht wegen Beinlänge und »richtige Rahmenhöhe« reinreden. Das ist Unsinn. Es geht nur um die richtige Länge, genauer die des »virtuellen Oberrohrs« (googeln).
Erster Schritt. Setz Dich auf das Rad drauf. Arsch dahin, wo Du sitzen wirst: Sitzknochen auf der breiten Stelle hinten des Sattels. Drehe ein Pedal nach unten und stelle die Hacke/Ferse drauf. Jetzt soll Dein Bein entspannt gestreckt sein. Heißt: Nicht erst durchdrücken müssen, um es zu strecken und nicht das Bein ausstrecken müssen, um überhaupt ans Pedal ranzukommen, sondern in der Mitte dazwischen. Entspannt gestreckt. So hoch/tief muß der Sattel sein, denn stellst Du jetzt probehalber den Ballen aufs Pedal, hat das Bein die richtige gesunde Beugung zum Fahren. Ob die Sattelstütze dabei nun 5cm oder 25cm aus dem Rahmen kuckt, ist lediglich eine ästhetische Frage, keine, ob das Rad paßt oder nicht – abgesehen vom Fall, Du hast »Feindkontakt«, wenn Du Dich hinstellst.

Zweiter Schritt. Pedale auf drei und neun uhr. Fußballen drauf (ja, eben war es die Ferse/Hacke, jetzt der Ballen). Dann soll der Tibiakopf (googeln) lotrecht über der Pedalachse stehen. So weit muß der Sattel nach vorne oder hinten gestellt werden.

Dritter Schritt. Wenn das alles stimmt, probierst Du, den Lenker zu greifen. Egal, ob Oberlenker, Bremshebelgriff oder Unterlenker: mehr oder weniger rechtwinklig sollen dabei Deine gestreckten Arme vom Oberkörper wegzeigen. Zeigen sie weiter nach vorne, ist das Geschmacksache: Unbequem? Du brauchst einen kleineren Rahmen. Geil, so will ich gasgeben? Vielleicht richtige Größe. Probefahrt, ob Du das nach 15 Minuten immernoch denkst oder Dir dann alles wehtut. Weniger als rechter Winkel: eher Richtung Hollandrad, kurz – mir wäre das zu kippelig und mein Oberkörper wäre da zu aufrecht. Ich muß lang sitzen. Nach dem Länge-Gefühl entscheidet sich einzig richtig die Rahmengröße, nicht nach Beinlänge, die Beinlänge ist eine unrichtige Religion in leider immernoch 99.9% der Fahrradläden.. Lenkerhöhe ist dann Geschmacksache. Meiner muß so tief wie möglich sein, andere wollen den Lenker eher moderat.

Der Grund, warum ich nach der Länge gehe und nicht nach der Höhe ist der: niemand hat genormtes Verhältnis von Bein- zu Oberkörperlänge. Es gibt Sitzriesen mit waaaahnsinnig langen Oberkörpern und Stummelbeinen und andersherum Sitzzwerge mit laaaangen Beinen und kaum Oberkörper. Gehen diese nun jeweils nach Beinlänge, hat der Sitzriese ein Problem: mit seinen Stummelbeinchen hat er einen niedrigen und damit automatisch auch kurzen Rahmen bekommen und weiß seinen vielen Oberkörper gar nicht drauf unterzubringen ohne japanische Faltkunst. Der Sitzzwerg mit seinen laaangen Beinen rechnet sich einen waaahnsinnig riesigen Rahmen aus, aber kommt mit seinen kurzen Ärmchen kaum an den weit entfernten Lenker ran. Merk Dir das mit dem Sitzriesen und -Zwerg und erkläre es notfalls dem Verkäufer, wenn er mit Beinlänge und Rahmenhöhe ankommt.

Ich würde Dir, wenn Neurad, ans Herz legen, als Schaltung nichts unterhalb der »105« zu nehmen. Shimano benennt die Gruppen von der besten oben zur billigsten unten sortiert so:

»Dura-Ace« (Tour de France, brauchst Du nicht)
»Ultegra« (ambitioniertes Hobby, Leistungssport)
»105« (zivil und extrem geil, fahre ich selbst seit über 18.000km)
»Tiagra« (groooße Qualitätslücke zur 105. Mag ich nicht.)
»Sora« (Plastikmüll)

Shimano würde ich empfehlen wegen sehr sehr guter Möglichkeiten, Ersatzteile zu kriegen. Das ist bei Campagnolo (italienische Konkurrenz von Shimano) elend teuer bezüglich Kaufpreis und Zeit, die ins Land streicht, bis mans gefunden hat oder die Bestellung beim Großhändler in Deinem Laden angekommen ist.
Sram als US-amerikanischer Konkurrent von Shimano und Campa macht extrem geile Sachen. Wiegt nix, ist fast alles aus Plastik (Carbon und Thermoplast), aber extrem geil. High End. Vom Feinsten. Keine Erfahrung bezüglich Ersatzteil-Beschaffung. Mittelteuer.

Versuche, keinen Gruppenmix zu erwischen. Eine »Gruppe« ist bespielsweise Shimano Dura- Ace, oder Shimano Ultegra, oder Sram Red, oder Campa Centaur. Das sind die einzelnen Qualitäten mit jeweils ihren Namen. »Gruppe« eben. Gruppen kann man oftmals mischen, paßt zueinander, aber schön ist das nicht. Manchmal wird als Augenwischerei ein gaaanz tolles Schaltwerk genommen, welches Unwissende als »die Schaltung« bezeichnen, und der Rest der Gruppe ist Müll: Naben, Innenlager, Kurbeln, Umwerfer, Ritzel, Kette, Bremsen, Schaltbremshebel.. Das gehört alles zur Gruppe und sollte sortenrein sein. Ist ja keine Pizza Quattro Fromaggi.

Manchmal wurde schon z.B. von BOC geworben mit »XTR-21-Gang-Mountainbike!!« Die XTR ist von Shimano die beste Mountainbikegruppe und hat zehn Zahnräder hinten (»Ritzel«) und zwei bis drei vorne (»Kettenblätter«). 21 ist nicht durch zehn teilbar. Da sieht man dann, daß zwar ein blendendes XTR-Schaltwerk dran ist, das aber etwa vierzigmal so viel gekostet hat wie die Schalthebel, die nur sieben Gänge bedienen können und somit der technische Stand von 1993 sind, wo siebenfach anfing, durch achtfach ersetzt zu werden. Danach kam 1999 9fach, zehnfach kam glaub ich 2004 oder 2005, usw.. Also Augen auf, aus was für Teilen der gesamte Antrieb besteht und nicht nur hinten aufs Schaltwerk kucken.

Viel Text, aber alles das ist wichtig, und Ihr habt mich oft genug gefragt!

kiwikirsch.de, 10.09.2014